Schneegestöber 6 | 2021/22

Eingeschneiter Oberflächenreif -

 Gefahrenmuster 8

 

Oberflächenreif ist sicherlich einer der eindrucksvollsten Kristallformen, die wir bewundern dürfen: Wunderschön anzusehen, vor allem wenn er im Sonnenlicht glitzert und funkelt. Wird er allerdings von Schnee überlagert, verwandelt er sich in eine brandgefährliche und tückische Schwachschicht. Wie so oft liegt Wunderschönes so nah am Gefährlichen.


 

Was ist Oberflächenreif:

Oberflächenreif sind Eiskristalle, die sich an der Schneeoberfläche bilden. Die typische Erscheinung ist plättchenförmig und transparent und die Kristalle weisen viele zusammenhängende Facetten auf. Sie könne bis zu ein paar Zentimeter groß werden.



Entstehung:

Oberflächenreif entsteht durch Deposition, (wie bei der aufbauenden Umwandlung innerhalb der Schneedecke), allerdings stammt der Wasserdampf vorrangig aus der Umgebungsluft. Bedingt entstehen Reifkristalle auch durch den Wasserdampf, der aus der Schneedecke austritt.


Gebildete Reifkristalle, durch den Wasserdampf der vom Boden aufsteigt

Als Deposition wird der direkte Übergang vom gasförmigen zum festen Zustand bezeichnet, wobei der flüssige Zustand ausgelassen wird. Wenn sich im Frühjahr oder Herbst Tau bildet, handelt es sich um Kondensation (gasförmig zu flüssig). Wasserdampf aus der Umgebungsluft kondensiert an unterkühlten Flächen, zum Beispiel Wiesen, und Tautröpfchen entstehen. Kommt es zu einem Gefrieren der Tröpfchen, spricht man von gefrorenem Tau, nicht von Raureif.  Bei der Taubildung liegt Taupunkt und Lufttemperatur über dem Gefrierpunkt (0°C), bei der Entstehung von Raureif (Oberflächenreif) liegt er unter 0°C.

 

Damit Oberflächenreif entsteht, braucht es mehrere Faktoren:

Eine kalte Schneeoberfläche, eine höhere Luft- als Schneeoberflächentemperatur und ausreichend Luftfeuchtigkeit. Weiteres benötigen wir klare Nächte, damit die Schneeoberfläche abkühlen kann. Einen zusätzlichen Einfluss hat der Wind: Je stärker er weht, umso geringer ist die Reifbildung, denn der Wasserdampf hat dann zu wenig und zu kurze Berührungspunkte mit der Schneeoberfläche, um sich festsetzen zu können.

Ob sich Oberflächenreif bilden kann, ist auch von der Energiebilanz der Schneedecke abhängig. Die Energiebilanz beschreibt den Energieaustausch mit der Atmosphäre und dem Bodenstrom. Der Austausch an Energie erfolgt durch Strahlung, fühlbare Wärme (zb. Föhn) und Phasenübergänge. Für die Kühlung der Schneeoberfläche -die für die Bildung von Oberflächenreif benötigt wird-, ist die langwellige Wärmestrahlung zuständig. Im Fall von Schnee kann die langwellige Strahlung im Vergleich zur kurzwelligen Strahlung (Sonnenstrahlung) nicht nur ein Energieplus, sondern auch ein Minus verzeichnen. Sprich, die langwellige Wärmestrahlung kann die Schneedecke sowohl erwärmen als auch kühlen. Damit die Schneedecke Abstrahlen kann, braucht es einen freien Blick zum Himmel, denn jedes Hindernis, egal ob Wolken, Bäume, etc, hat eine Gegenstrahlung zur Folge, die der Schneedecke wieder Energie zuführt und sie dadurch erwärmt.

Lang ausgeschweift, nun wieder zurück zum wesentlichen: Oberflächenreif bildet sich hauptsächlich in Schönwetterphasen mit klaren Nächten. Denn dann kann die Schneeoberfläche stark auskühlen und teilweise sogar beachtliche Minusgrade erlangen. Zudem muss genug Wasserdampf in der Luft vorhanden sein, wozu es feuchtere Luftmassen benötigt (hohe Luftfeuchtigkeit). Darum bildet sich Oberflächenreif auch gerne im Bereich von Hochnebel. Die Lufttemperatur muss lediglich höher sein als die Schneeoberflächentemperatur.

Sind diese ganzen Faktoren gegeben, läuft es folgendermaßen ab: Die etwas wärmere und feuchtigkeitshaltige Umgebungsluft streicht über die kalte Schneeoberfläche, wobei der vorhandene Wasserdampf sich durch Deposition an der kalten Oberfläche fest setzt bzw. dort kristallisiert. Dieser Vorgang kann sich über Tage hinweg wiederholen und die Kristalle wachsen Facette um Facette zum Himmel hin. Bei so kalten Temperaturen an der Schneeoberfläche arbeitet im gleichen Zuge auch die aufbauende Umwandlung: Gleicher Prozess, nur kommt der Wasserdampf von wärmeren Schichten in der Schneedecke und die Kristalle wachsen nach unten, nicht nach oben. Die Kombination aus Oberflächenreifbildung und der zugleich werkelnden aufbauenden Umwandlung hat zur Folge, dass sich an der Schneeoberfläche mehrere Zentimeter lockere Kristalle bilden können. Ist die Schneehöhe gering mächtig und die Prozesse laufen über eine längere Zeit, kann sich die ganze Schneedecke aufbauend Umwandeln, wie es im Frühwinter oft der Fall ist.


Im Sonnenlicht glitzert und funkelt Oberflächenreif


Solang die Reifkristalle an der Schneeoberfläche bleiben, bilden sie keine Gefahr. Werden sie aber von Triebschnee oder Neuschnee überlagert, dienen sie als perfekte Schwachschicht. Denn Oberflächenreif ist meist großflächig vorhanden, besteht aus großen, lockeren Kristallen, die leicht brechen und deren Bruchausbreitung meist fantastisch ist. Wenn also ein geeignetes Brett darüber lagert (gebundener Schnee) und der Hang ausreichend Steil ist, ist ein Lawinenabgang so gut wie vorprogrammiert. Nicht selten kann man auch im flachen Gelände Setzungsgeräusche wahrnehmen, wenn Oberflächenreif eingeschneit wurde. Optisch erkennen kann man diese Gefahr im Gelände nicht. Nur wenn man den Oberflächenreif vor dessen Überlagerung gesichtet hat, oder einen Blick in die Schneedecke wirft, erhält man Hinweise. Anhand von Messstationen kann man die Bildung von Oberflächenreif allerdings erahnen.

 

Nigg Effekt:

Als besonders Tückisch gilt der Nigg Effekt. Dieser tritt vermehrt im Frühwinter und im Frühjahr auf, wenn besonnte Hänge erwärmt werden, folglich wärmere sowie feuchtere Luftmassen Richtung Bergkämme und Grate aufsteigen und auf deren Schattenseite gleiten. Dort ist die Schneeoberfläche meist noch recht kalt und der Wasserdampf der wärmeren Luft lagert sich an der kalten Schneeoberfläche ab. Oberflächenreif wird dann direkt unterhalb der Grate und Kämme nur in einem schmalen Band (einige Meter breit) gebildet. Kommt darauf Neu- oder Triebschnee zu liegen, kann man von einer absolut tückischen Falle ausgehen. Nicht umsonst spricht man bei diesem Phänomen von einer Expertenfalle, denn wenn man den Reif nicht bevor er eingeschneit oder überlagert wurde gesichtet hat, braucht es verdammt viel Erfahrung, eine genaue Wetterbeobachtung und gegebenenfalls auch ein Schneeprofil an einer zufällig richtigen Stelle, um ihn noch vor einem Lawinenabgang aufzuspüren.

 

Erkennen an Messstationen:

Im Kreis: Gute Voraussetzungen für Oberflächenreifbildung


Einige Messstationen geben zur Lufttemperatur (rote Linie) auch die Schneeoberflächentemperatur (graue Linie) und den Taupunkt (blaue Linie) an. Diese drei Werte brauchen wir, um anhand von Messgrafiken zu erahnen, ob sich Oberflächenreif bildet oder nicht.

Die Schneeoberflächentemperatur muss unter 0°C liegen, denn sonst schmilzt Schnee. Hier gilt: Je kälter, umso leichter entstehen Reifkristalle.

Weiteres muss die Lufttemperatur (rote Linie) wärmer sein als die Schneeoberflächentemperatur (graue Linie) und der Taupunkt (blaue Linie), der uns den Wassergehalt der Luft angibt, muss sich oberhalb der grauen Linie befinden. Also: rote Linie oben, in der Mitte die blaue Linie und unten die graue Linie.


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